Robert Piéchaud veröffentlicht Medieval 2

Medieval ist eine geniale Lösung für die Notation von alter Musik mit Finale. Der Entwickler Robert Piéchaud gibt einen kurzen Überblick.
Ein historisches Notenbeispiel, gesetzt mit Medieval 2 und Finale
Abb. 1: Ein historisches Notenbeispiel, gesetzt mit Medieval 2 und Finale

Robert Piéchaud ist Komponist, Musiker und altgedienter Finale-Software-Entwickler, der u. a. die Wiedergabestilistik, FinaleScript, die Funktion „Dokumente verbinden“ und den Musikzeichensatz November entwickelt hat. In den letzten Tagen hat Robert Medieval 2 veröffentlicht, ein Update zu seiner genialen Lösung für die Notation von alter Musik mit Finale. Hier beschreibt Robert, was Medieval ist, welche Neuigkeiten in Version 2 enthalten sind und was die Zukunft bringt.

Wie beschreibst du Medieval? Ist ein es Plug-In? Ein Zeichensatz? Beides?

Medieval ist eine spezialisierte Lösung für alte Musik. Sie dient dazu, Musikern bei der Notation der ältesten uns bekannten Formen von notierter westlicher Musik zu helfen, wobei auf die Möglichkeiten des Weltstandards für die Notation von Standard-Noten – Finale – zurückgegriffen wird.

Es handelt sich um ein Paket mit vielen Facetten: eine Sammlung von Zeichensätzen, ein leistungsfähiges Plug-In mit einer mehrsprachigen Benutzeroberfläche, eine umfangreiche Dokumentation und einige spezielle Vorlagen und Komponenten. Zusammen mit Finale wird daraus eine umfangreiche Umgebung für die Notation mittelalterlicher Musik. Man könnte es als Programm innerhalb des Programms bezeichnen, und es geht auf jeden Fall eine Symbiose mit Finale ein.

Könntest du einen kurzen Überblick über die Geschichte von Medieval geben?

Ich bin schon lange von der Idee besessen, die „Wärme“ traditionell gesetzter Musik mit modernen digitalen Werkzeugen zu emulieren. Eine enge Verbindung zwischen der analogen und der digitalen Welt zu bewahren, ist ein wichtiges Thema in meiner Arbeit und meiner Musik.

In den 1990ern gab es Finale, Sibelius, Score und andere Produkte, aber ich habe festgestellt, dass es keine zufriedenstellende Lösung für die Erstellung einer Musiknotation wie vor dem 15. Jahrundert gibt. Durch meine Leidenschaft für die fantastische musikalische Vielfalt seit dem 8. Jahrhundert beflügelt, kam mir die Idee für einen Zeichensatz (Neuma), der viele der feinen Ligaturen und Funktionen mittelalterlicher Musik enthält. Es ist mir aber bald klar geworden, dass es mehr bedarf, um die mittelalterlichen Paradigmen umzusetzen.

Insbesondere Neumen haben sich als problematisch erwiesen, da diese nicht von vorne herein einen Rhythmus darstellen. Finale „denkt“ in Kategorien wie Takten und Rhythmen, aber so etwas gibt es in Gregorianischen Chorälen nicht. Zum Glück besitzt Finale die Flexibilität, die es dem Anwender (und Plug-In-Entwickler) erlaubt, fast alles zu emulieren.

Während ich 1999 in London war, habe ich zufällig John Paulson getroffen, den Gründer und früheren CEO von Coda Music Technologies (befor die Firma in MakeMusic umbenannt wurde). Ich hatte eine frühe Version dessen, was später Medieval werden würde, auf meinem MacBook und konnte es John zeigen, der begeistert war. Zu diesem Zeitpunkt habe ich von dem Projekt unter dem Arbeitstitel „Gradualis“ gesprochen, worauf John mit einem harschen „was zum Teufel ist das?“ reagierte. Später hat er dann in versöhnlicherem Ton vorgeschlagen, das Produkt in „Medieval“ umzubenennen.

Welche Umstände haben jetzt zur Veröffentlichung von Version 2 geführt?

Im Laufe der Jahre hat sich Medieval technisch überholt. Viel Arbeit war nötig, um es an moderne Betriebssysteme (und neuere Finale-Versionen) anzupassen.

Auch wenn es ein starkes Interesse an einem Update gab und ich sogar eine Beta-Version erstellt hatte (welche von einigen Spezialisten für Publikationen eingesetzt wurde), konnte ich nie die Zeit finden, das Projekt fertigzustellen. Nach der Veröffentlichung des Zeichensatzes November 2 im Februar 2015 fand ich schließlich die Zeit, mich hinzusetzen und ernsthaft an dem Update zu arbeiten.

Was gibt es neues in Version 2?

Zunächst wurde der komplette Programmcode neu geschrieben. Zusätzlich enthält Medieval 2 viele neue Funktionen. Insbesondere wurde das Neume-Werkzeug – ein sehr spezielles Erkennungssystem – erweitert, so dass es jetzt mehr als 200 Formen von grundlegenden Neumen erkennt.

Das Neume-Werkzeug von Medieval im Einsatz
Abb. 2: Das Neume-Werkzeug von Medieval im Einsatz

Grafisch gesprochen habe ich die gesamten Zeichensatz-Familie Neuma überarbeitet, viele Symbole hinzugefügt und viel Augenmerk auf Details gelegt, wie bei meinem Zeichensatz November 2.

Medieval 2 ist jetzt einfacher anzuwenden, es gibt ein spezielles Menü und Tastaturkürzel. Es gibt auch ein hilfreiches Hinweissystem, das Informationen oder Warnungen zeigt, ohne den Arbeitsfluss zu unterbreichen. Weiterhin wurde die Dokumentation komplett neu erstellt. Es gibt sicherlich weitere wichtige Punkte, die mir gerade nicht einfallen.

Schließlich gibt es die Programmoberfläche jetzt in fünf Sprachen: Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch … und sogar Lateinisch. (Nicht zuletzt auch Dank der Mithilfe meines 15jährigen Sohnes, der bereits ein wahrer Humanist ist.)

Die Arbeitsoberfläche von Medieval in Finale
Abb. 3: Die Arbeitsoberfläche von Medieval in Finale

Wird es eine Windows-Version geben?

Ja, auf jeden Fall. Version 2.1 von Medieval soll im dritten Quartal 2017 erscheinen und ist dann für Macintosh und Windows. Das Medieval-2-Projekt war bereits so lange in Arbeit, dass ich das Gefühl hatte, ich kann die Veröffentlichung der Mac-Version nicht noch so lange hinausschieben, bis beide fertig wären. Es war mir wichtig, der Welt da draußen ein konkretes Zeichen meiner Fortschritte zu zeigen. Ich plane auch die Übersetzung der Dokumentation ins Französische, Deutsche und Italienische sowie weitere Features.

Weitere Features?

Nun, ich arbeite z. B. an einem neuen Zeichensatz, der St. Galler Neumen nachbildet. Das ist eine faszinierende und sehr spezielle Art der Musiknotation, die uns in der Geschichte noch weiter zurück bringt. Man nennt es auch Campo Aperto („offenes Feld“) und sie wurde um das 8. Jahrhundert herum in der Abtei St. Gallen entwickelt. Es gibt keine Notenlinien, es handelt sich eher um Abkürzungen. In mancher Hinsicht ähnelt dies bestimmten Experimenten der avantgardistischen Musiknotation. (Das gleiche könnte man für Ars Subtilior sagen, einer anderen interessanten Notationsperiode, die von Medieval 2 abgedeckt wird.) Sehr oft werden Gregorianische Choräle mit der üblichen Quadratnotation im Notensystem und den St. Galler Neumen darüber geschrieben. Meine Idee besteht darin, dass in Medieval 2 diese Neumen als Zeichen einer Textschrift in einer speziellen Liedtextzeile der Gregorianik-Vorlage über den Noten eingegeben werden kann.

Was kommt für dich als nächstes?

Das Schreiben von Musik steht auf meine Liste weit oben! Letztes Jahr war bereits sehr intensiv, es gab ein Programm von mir beim Festival d’Automne in Paris unter dem Titel „Amerika“, bei dem meine Wittgenstein-Lieder, mein Bläserquintett (mit Stimme) The River (nach Henry David Thoreau) und einige eigene Arrangements der Musik des großen Charles Ives aufgeführt wurden, darunter die Variations on America.

Für dieses und das nächste Jahr möchte ich sehr gerne etwas umfangreichere Orchesterprojekte auf die Beine stellen. Vielleicht führt das zu neuen technologischen Unternehmungen. Wer weiß?

Ich möchte Robert für diese Hintergrundinformationen danken. Medieval 2 ist bei KLEMM MUSIC TECHNOLOGY erhältlich.

Scott Yoho